Ein Foto und seine Geschichte: Wandmalereien in Diamante (Kalabrien)

Wenn Werner Schulze-Erdel und seine Spielshow „Familienduell“ noch liefe, und er fragen würde, was 100 Leute wohl mit dem Begriff Kalabrien verbänden, kämen 100 Antworten vielleicht gar nicht zustande. Die Deutschen assoziieren mit der „Stiefelspitze Italiens“, die Kalabrien geografisch darstellt, allenfalls Überschwemmungen, Erdbeben und die Mafia. Stimmt leider alles. Allerdings ist da noch mehr.

Ich muss es wissen, ich habe vor drei Jahren in Kalabrien, genauer gesagt in Quattromiglia/Rende auf dem Campus Arcavacata an der Universitá di Calabria (jetzt bin ich fertig mit den Fremdwörtern) studiert und einige Reisen ins Umland unternommen, genauer gesagt nach ganz Kalabrien.

Es gibt noch mehr als Tropea

Dabei könnte man leicht dazu verfallen, seine freien Tage lediglich im Touristenstädtchen Tropea zu verbringen. Das war mir allerdings nicht einheimisch genug, und ich suchte nach mehr Authenzität. In Diamante, einer Westküstenstadt nördlich der Hauptstadt Cosenza, fand ich sie.

Wer kein Auto hat, nimmt in Kalabrien die Bahn. Die bringt einen sogar pünktlich (gibt nicht so viele Passagiere) ans Ziel, wenn auch zu asynchronen Zeiten (Züge kommen im Abstand von zwei, manchmal aber auch von fünf Stunden).

Diamante ist berühmt für seine Wandmalereien, murales genannt. In/seit (so genau weiß das keine verlässliche Quelle) den 1980er Jahren pinselten Künstler hier ihre Illustrationen an zuvor überwiegend karge Häuserwände. Später ergänzten Poeten das Ganze mit Gedichten und kleinen Texten. Seht selbst.

Murales in Diamante

Herzlich Willkommen in Diamante, Kalabrien

Ich falle einmal aus der Reihe in diesem Reiseblog, indem ich hier ein Hochkant-Foto einstelle. Ich hätte auch noch andere Motive im Querformat gehabt, aber hier sieht man einmal die ganze Fassade des bemalten Hauses.

Ganz unten vermag die bunte Treppe, das Wagenrad und der Willkommensgruß eines Dichters ins Auge fallen, ein Stockwerk darüber spielen zwei Figuren mit Sombreros um die Wette. Aufgrund der Position der beiden Mexikaner genoss der Maler wahrscheinlich Gastrecht beim Eigentümer, um sein Werk zu vollenden.

Seht aber auch einmal dahinter, also noch höher ins Bild. Weiter oben wird es wohnlicher, es hängt Wäsche auf improvisierten Leinen, Gegenstände, die im Inneren keinen Platz mehr fanden, finden ihren Platz hier draußen auf den Balkonen.

Die Blumenkästen sind leer, es gibt keine Markisen. Sicher, man braucht beides nicht, und es spricht auch nichts gegen die anderen Dinge. Aber auch mit Blick auf die nicht mehr künstlerisch verzierte Steintreppe und die Häuser weiter hinten fällt auf, dass Kalabrien eine der ärmsten Gegenden Italiens ist. Die Armut der Region kann kein Künstler der Welt übermalen.

Hoffnungsschimmer Tourismus

Diese Dinge sind natürlich bekannt, besonders Italienkenner wissen um das Nord-Süd-Gefälle in Wirtschaft und Infrastruktur. Es ist jedoch kein Grund, Orte wie

  • Diamante
  • Scalea (herrliche Strände)
  • Rossano (Lakritze-Manufaktur)
  • Reggio di Calabria (ehemalige Hauptstadt, Port nach Sizilien) oder auch
  • Amantea (alte Ruinen und Kastelle)

nicht zu besuchen. Mit einem Italienisch-Wörterbuch bewaffnet, überwinden Touristen nach einer kurzen Eingewöhnungszeit die größte Hürde in dieser Region, die ihnen vielleicht das Leben erschweren könnte. Für Besucher ist die Gegend sehr sicher, und wer ein Auto hat, kommt auch noch zu den Geheimtipps Kalabriens und damit weiter als zu den von mir benannten Städten.

Geheimtipps finden sich im Standard-Nachschlagewerk und Reiseführer „Kalabrien“ von Ilona Witten, das schon beim Lesen Lust auf Küche und Kultur Kalabriens macht. ISBN-Nummer ist 3-7701-5989-6.

Über den Autor:

ThiloThilos Geschichten über seine Zeit in Kalabrien waren seine ersten Blogposts. Inzwischen bereist und fotografiert er weitere Teile der Welt, fühlt sich aber auch in NRW ganz wohl. Neugierige finden weitere Informationen auch auf Weltvermessen oder seinem Kalabrienblog. Aktuelles von ihm findet ihr übrigens über seine Kolumne „Pendeln zwischen Bonn und Köln“.